29.03.2024

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Größtmögliche Gleichheit

Fidel Castro über Sozialismus auf Kuba nach dem Ende der Sowjetunion

Federico Mayor Zaragoza*: Zusammen mit China, Vietnam und Nordkorea wird Kuba als die letzte Bastion des Sozialismus angesehen. Hat das Wort Sozialismus zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer überhaupt noch Sinn? Fidel Castro: Heute bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass es einen großen Sinn hat. Das, was vor zehn Jahren geschah, war die naive und unbewusste Zerstörung eines großen sozialen und historischen Prozesses, der zwar perfektioniert, aber niemals zerstört werden musste. Das hatten die Horden Hitlers nicht geschafft, nicht einmal, indem sie mehr als 20 Millionen Sowjetbürger töteten und die Hälfte des Landes zerstörten. Die Welt verblieb unter der Vorherrschaft einer einzigen Supermacht, die beim Kampf gegen den Faschismus nicht einmal fünf Prozent der Opfer beisteuerte, die die Sowjets erbrachten. In Kuba haben wir ein vereintes Land und eine Partei, die zwar anleitet, aber weder die Kandidaten aufstellt noch sie auswählt. Die Bewohner eines jeden Viertels, die in offenen Versammlungen zusammenkommen, schlagen die Kandidaten der 14 686 Wahlkreise vor, stellen sie auf und wählen sie. (…)

In den Vereinigten Staaten, wo so viel über Mehrparteiensysteme gesprochen wird, gibt es zwei Parteien, die sich in bezug auf Methoden, Ziele und Absichten exakt gleichen und in der Praxis das kompletteste Einparteiensystem haben entstehen lassen, das es auf der Welt gibt. In diesem „demokratischen Land“ gehen 50 Prozent der Bürger nicht zur Wahl und normalerweise gewinnt das Team, das mehr finanzielle Mittel gesammelt hat, mit lediglich 25 Prozent der Stimmen die Wahl. Die gesamte Politik reduziert sich auf Scheinauseinandersetzungen, Eitelkeiten und Ambitionen von Einzelpersonen oder von Interessengruppen innerhalb des etablierten wirtschaftlichen und sozialen Modells. (…)

Im Kapitalismus, einschließlich in den industrialisiertesten Ländern, regieren in Wirklichkeit die großen nationalen und internationalen Firmen. Sie entscheiden über die Investitionen und die Entwicklung. Sie sind verantwortlich für die materielle Produktion, die wichtigsten ökonomischen Dienstleistungen und einen Großteil der sozialen Dienstleistungen. Der Staat zieht einfach nur die Steuern ein, verteilt sie und gibt das Geld aus. In vielen dieser Länder kann die gesamte Regierung in Urlaub gehen, ohne dass irgend jemand etwas davon bemerkt. Das entwickelte kapitalistische System, das später zum modernen Imperialismus wurde, hat schließlich eine neoliberale und globalisierte Ordnung errichtet, die schlichtweg unhaltbar ist. Es hat eine Welt der Spekulation geschaffen, der fiktiven Schaffung von Reichtümern und Werten, die nichts mit der realen Produktion zu tun haben, und märchenhafte Privatvermögen, von denen einige das Bruttoinlandsprodukt von Dutzenden von armen Ländern übertreffen. Es wäre unnötig, die Plünderung und Verschwendung der natürlichen Ressourcen der Welt und das elende Leben von Milliarden Menschen hinzuzufügen. Das kapitalistische System hat der Welt nichts zu bieten und dient zu nichts weiter als seiner Selbstzerstörung, wobei es vielleicht zusammen mit sich die natürlichen Bedingungen zerstört, die als Stütze für das menschliche Leben auf dem Planeten dienen. Es ist nicht das Ende der Geschichte gekommen, wie einige illusionäre Euphoriker sich vorstellten. Jetzt ist in Wirklichkeit der Zeitpunkt, wo sie vielleicht erst beginnt. (…)

Sicherlich dachte alle Welt, dass Kuba nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und der UdSSR nicht durchhalten könne. Man müsste dabei zusätzlich fragen, wie dies möglich war mit einer doppelten Blockade und dem politischen und wirtschaftlichen Krieg, den uns die mächtigste jemals existierende Macht aufzwang, ohne Internationalen Währungsfonds, ohne Weltbank, ohne Kredite. Wir schafften es dennoch, die Großtat zu vollbringen. Bei einem kürzlich in Havanna veranstalteten Gipfeltreffen sagte ich gegenüber unseren Gästen mit einer gewissen Ironie, dass dies möglich war, weil wir das Privileg hatten, nicht dem IWF anzugehören.

Es gab Zeiten, in denen wir in einem Meer des umlaufenden Geldes schwammen; unsere Währung hatte außergewöhnlich an Wert verloren und das Haushaltsdefizit betrug bis zu 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ich beobachtete intelligente Besucher, die fast bis zur Ohnmacht in Erstaunen versetzt wurden. Unser Peso, die nationale Währung, hatte bis 1994 soviel an Wert verloren, dass der Umtauschkurs 150 Peso für einen US-Dollar betrug. Trotzdem schlossen wir keine einzige Gesundheitseinrichtung, keine einzige Schule, keine einzige Kinderkrippe, keine einzige Universität und keine einzige Sportanlage. Niemand wurde auf die Straße geworfen, ohne Arbeit oder Sozialversicherung, sogar als es an Brenn- und Rohstoffen mangelte. Es gab nicht den geringsten Entwurf für eine der gewöhnlich angewendeten und verhassten Schocktherapien, die so sehr von den westlichen Finanzinstitutionen empfohlen werden. Jede Maßnahme, die zum Entgegenwirken des schrecklichen Schlages getroffen wurde, diskutierte man nicht nur in der Nationalversammlung, sondern auch in Hunderttausenden von Versammlungen, die in Fabriken, Produktions- und Dienstleistungszentren, Gewerkschaften, Universitäten, Mittelschulen und in allen Organisationen der Bauern, Frauen, Häuserblocks sowie in anderen Organisationen sozialen Charakters stattfanden. Das Wenige, über das wir verfügten, wurde mit der größtmöglichen Gleichheit verteilt. Wir besiegten den Pessimismus innerhalb und außerhalb des Landes.

In diesen kritischen Jahren verdoppelte sich die Anzahl von Ärzten, verbesserte sich die Qualität unserer Ausbildung und gewann der Peso siebenfach an Wert – von 150 Peso für einen US-Dollar bis zu 20 Peso für einen US-Dollar im Zeitraum von 1994 bis 1998 –, wobei dieser Umtauschkurs seitdem stabil geblieben ist. Nicht ein einziger Dollar entwich ins Ausland. Man gewann an Erfahrung und Effizienz auf der Höhe der immensen Herausforderung, die wir vor uns hatten. Wenn wir auch noch nicht das Produktions- und Konsumniveau erreicht haben, über das wir zum Zeitpunkt des sozialistischen Desasters in Europa verfügten, so haben wir uns doch mit stetigem und sichtbarem Schritt erholt. Die Kennziffern in Bezug auf Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und viele andere soziale Aspekte, auf die wir stolz waren, haben wir aufrechterhalten, und einige haben wir sogar übertroffen. Der große Held dieser Großtat war das Volk, das seine riesigen Opfer und sein immenses Vertrauen beitrug. Dies war die Frucht der Gerechtigkeit und der Ideen, die in mehr als 30 Jahren Revolution gesät wurden. Dieses wahrhafte Wunder wäre ohne die Einheit und ohne den Sozialismus unmöglich gewesen.

* Federico Mayor Zaragoza war in Spanien Minister für Bildung und Wissenschaft (1981–1982) und Mitglied des Club of Rome. Das vollständige Interview in deutscher Fassung ist in „junge Welt“ (26.07.2000) erschienen.

Quelle: unsere-zeit.de

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2016-12-23 21:02:20

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